Immer am zweiten Sonntag im Advent stieg der
Vater auf den Dachboden und brachte die große Schachtel mit dem
Krippenzeug herunter. Ein paar Abende lang wurde dann fleißig
geleimt und gemalt, etliche Schäfchen wahren ja lahm geworden,
und der Esel musste einen neuen Schwanz bekommen, weil er ihn in
jedem Sommer abwarf wie ein Hirsch sein Geweih. Aber endlich
stand der Berg wieder wie neu auf seiner Fensterbank, mit
glänzenden Flitter angeschneit, dei mächtige Burg mit der
Fahne auf den Zinnen und darunter der Stall. Das war eine recht
gemütliche Behausung, eine Stube eigentlich, sogar der
Herrgottswinkel fehlte nicht und ein winziges ewiges Licht unter
dem Kreuz. Unsere liebe Frau kniete im seidenen Mantel vor der
Krippe, und auf der Strohschütte lag das rosige Himmelskind,
leider auch nicht mehr ganz heil, seit ich versucht hatte, ihm
mit der Brennschere neue Locken zu drehen. Hinten standen Ochs
und Esel und bestaunten das Wunder. Der Ochs bekam sogar ein
Büschel Heu ins Maul gesteckt, aber er fraß es ja nie. Und so
est es mit allem Ochsen, sie schauen nur und schauen und
begreifen rein gar nichts.
Weil der Vater selbst Zimmermann war, hielt er viel darauf dass
auch sein Patron, der Heilige Joseph, nicht nur herumlehnte, er
dachte sich in jedem Jahr ein anderes Geschäft für ihn aus.
Joseph musste Holzhacken oder die Suppe kochen oder mit der
Laterne die Hirten einweisen, die von überallher gelaufen kamen
und Käse mitbrachten oder Brot oder was sonst arme Leute zu
schenken haben.
Es hauste freilich ein recht ungleiches Volk in unserer Krippe,
ein Jäger, der zwei Wilddiebe am Strick hinter sich herzog,
aber auch etliche Zinnsoldaten und der Fürst Bismarck und
überhaupt alle Bresthaften aus der Spielzeugkiste.
Ganz zuletzt kam der Augenblick, auf den ich schon tagelang
lauerte. Der Vater klemmte plötzlich meine Schwester zwischen
die Knie, und ich durfte ihr das längste Haar aus dem Zopf
ziehen, ein ganzes Büschel mitunter, damit genügend Auswahl
hatte, wenn dann ein golden gefiederter Engel darrangeknüpft und
über die Krippe aufgehängt wurde, damit er sich unmerklich
drehte und wachsam umherblickte.
Das Gloria sangen wir selber dazu. Es klang vielleicht ein bisschen
grob in unserer breiten Mundart, aber Gott schaut seinen Kindern
ja ins Herz und nicht in den Kopf oder aufs Maul. Und es ist
auch gar nicht so, dass er etwa nur Latein verstünde.
Mitunter stimmten wir auch noch das Lieblingslied der Mutter an,
das vom Tannenbaum. Sie beklagte es ja oft, dass wir so gar eine
musikalische Familie waren. Nur sie selber konnte gut singen,
hinreißend schön für meinen Begriffe, sie war ja auch in
ihrer Jugend Kellnerin gewesen. Wir freilich kamen nie über
eine Strophe hinaus. Schon bei den ersten Tönen fing die
Schwester aus übergroßer Ergriffenheit zu schluchzen an. Der
Vater hielt ein paar Takte länger aus, bis er endlich merkte,
dass seine Weise in ein ganz anderes Lied gehörte, etwa in das
von dem Kanonier auf der Wacht. Ich aber selber konnte in meinem
verbohrten Grübeln, wieso denn ein Tannenbaum zur Winterzeit
grüne Blätter hatte, die zweite Stimme nicht halten. Darauf
brachte die Mutter auch mich mit einem Kopfstück zum
Schweigen und sang das Lied als Solo zu Ende, wie sie es gleich
hätte tun sollen. Advent, sagt man, sei die stillste Zeit im
Jahr. Aber in meinem Bubenalter war es keineswegs die stillste
Zeit. In diesen Wochen lief die Mutter mit hochroten Wangen
herum, wie mit Sprengpulver geladen, und die Luft in der Küche
sozusagen geschwängert mit Ohrfeigen. Dabei roch die Mutter so
unbeschreiblich gut, überhaupt ist ja der Advent die Zeit der
köstlichen Gerüche. Es duftete nach Wachslichtern, nach
angesengtem Reisig, nach Weihrauch und Bratäpfeln. Ich sage ja
nichts gegen Lavendel und Rosenwasser, aber Vanille riecht doch eigentlich
viel besser, oder Zimt und Mandeln.
Mich ereilten dann die qualvollen Stunden des Teigrührens. Vier
Vaterunser das Fett, drei die Eier, ein ganzer Rosenkranz für
Zucker und Mehl. Die Mutter hatte die Angewohnheit, alles
Zeitliche in ihrer Kochkunst nach Vaterunsern zu bemessen., aber
die mussten laut und sorgfältig gebetet werden, damit ich keine
Gelegenheit fände, den Finger in den köstlichen Teig zu
tauchen. Wenn ich nur erst den Bubenstrümpfen entwachsen wäre,
schwor ich mir damals, dann wollte ich eine ganze Schüssel voll
Kuchenteig aufessen, und die Köchin sollte beim geheizten Ofen stehen
und mir dabei zuschauen müssen! Aber leider, das ist einer von
den Knabenträumen geblieben, die sich nie erfüllt haben.
Am Abend nach dem Essen wurde der Schmuck für den Christbaum erzeugt.
Auch das war ein unheilschwangeres Geschäft. Damals konnte man
noch ein Buch echten Blattgoldes für ein paar Kreuzer beim
Krämer kaufen. Aber nun galt es, Nüsse in Leimwasser zu
tauchen und ein hauchdünnes Goldhäutchen herumzublasen. Das
Schwierige bei der Sache war, dass man vorher nirgendwo Luft von
sich geben durfte. Wir saßen alle in der Runde und liefen
blaurot an vor Atemnot, und dann geschah es eben doch, dass
jemand plötzlich niesen musste. Im gleichen Augenblick segelte
eine Wolke von glänzenden Schmetterlingen durch die Stube.
Einerlei, wer den Zauber verschuldet hatte, das Kopfstück bekam
jedenfalls ich, obwohl es nur bewirkte, dass sich der goldene
Unsegen von neuen in die Lüfte hob. Ich wurde dann in die
Schlafkammer verbannt und musste Silberpapier um die Lebkuchen
wickeln, um ungezählte Lebkuchen.
Kurt vor dem Fest, sinnigerweise am Tag des ungläubigen Thomas,
musste der Wunschzettel für das Christkind geschrieben werden,
ohne Kleckse und Fehler, versteht sich, und mit Farben sauber
ausgemalt. Zuoberst verzeichnete ich anstandshalber, was ha
ohnehin von selber eintraf, die Pudelhaube oder jene Art von
Wollstrümpfen, die so entsetzlich bissen, als ob sie mit
Ameisen gefüllt wären. Darunter aber schrieb ich Jahr
für Jahr mit hoffnungsloser Geduld den kühnsten meiner
Träume, den Anker-Steinbaukasten, ein Wunderwerk nach allem,
was ich davon gehört hatte. Ich glaube ja heute noch, dass
sogar die Architekten der Jahrhundertwende ihre Eingebungen von
dorther bezogen haben.
Aber ich selber bekam ihn ja nie, wahrscheinlich wegen der
ungemein sorgfältigen Buchhaltung im Himmel, die alles genau
verzeichnete, gestohlene Zuckerstücke und zerbrochene
Fensterscheiben und ähnliche Missetaten, die sich mit ein paar
auffälliger Frömmigkeit auch nicht mehr abgelten ließen.
Wenn mein Wunschzettel endlich fertig vor dem Fenster lag, musste
ich aus brüderlicher Liebe auch noch den für meine Schwester
schreiben. Ungemein plapperte sie von einer Schlafpuppe, einem
Kramladen, lauter albernes Zeug. Da und dort schrieb ich wohl
ein heimliches >>Muss nicht sein<< dazu, aber
vergeblich. Am Heiligen Abend konnte sie doch eine Menge von
Früchten ihrer Unverschämtheit ernten.
Der Vater, als Haupt und Ernährer unserer Familie, brauchte
natürlich keinen Wunschzettel zu liefern. Für ihn dachte sich
die Mutter in jedem Jahr etwas besonderes aus. Ich erinnere mich
noch an ein Sitzkissen, das sie ihn, einmal bescherte, ein
Wunderwerk aus bemaltem Samt, mit einer Goldschnur eingefasst.
Er bestaunte es auch sehr und lobte es überschwänglich,
aber eine Weile später schob er es doch heimlich wieder zur
Seite. Offenbar wagte es nicht einmal er, auf einem röhrenden
Hirschen zu sitzen, mitten im Hochgebirge.
Für uns Kinder war es hergebracht, dass wir nichts schenken
durften, was eir nicht selber gemsacht hatten. Meine Schwester
konnte sich leicht helfen, sie war ja immerhin ein Frauenzimmer
und verstand sich auf die Stickerei oder sonst eine von diesen Hexenhaften
Weiberkünsten, die Zeitlebens unheimlich gewesen sind. Einmal
nun dachte auch ich etwas Besonders zu tun. Ich wollte den
Nähsessel der Mutter mit Kufen versehen und einen Schaukelstuhl
daraus machen, damit sie ein wenig Kurzweil hätte, wenn sie am
Fenster sitzen und meine Hosen flicken musste. Heimlich sägte
ich also und hobelte in der Holzhütte, und es geriet mir auch
alles vortrefflich. Auch der Vater lobte die Arbeit und meinte,
es sei eine großartige Sache, wenn es uns nur auch gelänge,
die Mutter in den Stuhl hineinzulocken.
Aber aufgeräumt, wie sie am Heiligen Abend war, tat sie mir
wirklich den Gefallen. Ich wiegte sie, sanft zuerst und
allmählich ein bisschen schneller, und es gefiel ihr ausnehmend
wohl. Niemand merkte jedenfalls, dass die Mutter immer stiller
und blasser wurde, bis sie plötzlich ihre Schürze an den Mund presste-
es war durchaus kein Gelächter, was sie damit ersticken musste.
Lieber, sagte sie hinterher, weit lieber wollte sie auf einem
wilden Kamel durch die Wüste Sahara reiten, als noch einmal in
diesem Stuhl sitzen! Und tatsächlich, noch auf dem Weg
zur Mette hatte sie einen glasigen Blick, etwas seltsam
Wiegendes in ihrem Schritt.
Karl Heinrich Waggerl
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