Da saß er nun wieder in seinen Dienstwagen und
raste von dem Adventsnachmittag im Altenheim zu der
vorabendlichen Weihnachtsfeier im Landratsamt. .Vier Termine
musste er heute noch wahrnehmen. Man muss sich ja als Politiker
sehen lassen und sein Grußwort an die Leute richten. Womöglich
ist der von der Gegenpartei auch da und wird einem die Schau
stehlen. Es gehört schon zu den Merkwürdigkeiten unserer
Zeit, dachte er sich, dass man ausgerechnet die Zeit der
größten Hetze die "staade Zeit nennt. Wahrscheinlich
wäre das Heilige Paar, wenn es heute leben würde in diesen
Tagen nicht auf der Flucht vor Herodes, sondern vor den ganzen
Weihnachtsvorbereitungen.
Heiliges Paar . Da fiel ihm ein, dass er ja heuer ein Kripperl
besorgen wollte. Die Kinder hatten sich eines gewünscht, weil
das alte, das ohnehin schon etwas ramponiert gewesen war, als
man es im Januar wieder auf den Speicher Speicher tragen wollte,
heruntergefallen war und die meisten Figuren ihre größeren odr
kleineren Schäden davongetragen hatten. Wie`s der Zufall
wollte, bekam er just an diesem Nachmittag von der Leiterin des
Altenclubs, der Rosa Varenzki, einen der prächtigen Heiligen
Drei Könige geschenkt, den sie selbst in mühseliger
Kleinarbeit mit herrlichen Kleidern ausgestattet hatte. Da kam
ihm eine Idee: Wie wär`s denn, wenn er bei seinen vielen
Verpflichtungen die Augen und Ohren aufhalten und an der einen
oder anderen Stelle diese oder andere Stelle diese oder jene
Figur besorgen würde?
Als er dann am nächsten Samstagnachmittag den Otterloher
Christkindlmarkt mit ein paar Grußworten eröffnete, erstand er
tatsächlich am Missionsstand einen holzgeschnitzten Elefanten
für den einen der Heiligen Drei Könige. Bei der Einweihung der
Berufschule zeugte er besonderes Interesse an einen von den
Schülern hergestellten Kripperl, und dem Schulleiter war es
eine große Ehre, ihm dasselbe als Präsent zu überreichen. Und
so ging`s weiter: ein paar kleine, von den Grundschulkindern aus
Ton hergestellte Schafe, beim Verein für Schäferhunde eine
Kleinausgabe eines Wachhundes für die Lämmlein und Schäflein
usw. usf. Einheitlich waren sie ja nun nicht, die Figuren,
aber vielleicht war das gerade das Besondere an dieser Krippe!
Da und dort machte er sich schon Gedanken über diese Art von
Kurzfeiern. Hatten früher nur die großen Vereinigungen und
Vereine ihre eigene Advents - und Weihnachtsfeier gehabt, so war
es inzwischen Mode geworden, dass von jedem Großverein auch
noch die Untervereine ihr eigenes adventliches Zusammensein
abhielten, dass es sich kein kleiner Ort in seinem Landkreis
mehr leisten konnte, auf das Adventsingen zu verzichten , dass
also das reinste "Adventerts" ausgebrochen war.
Äußerst unterschiedlich waren sie ja, diese adventlichen oder
weihnachtlichen Feiern. Häufig verbarg sich hinter ihnen ein
bloßes Essen und Trinken, oder dass irgend jemand aus der
Firma ein paar nichtssagende Worte über den Jahresabschluss
sprach. Da gab`s aber dann auch Weihnachtsfeiern, die eher einem
Faschingsball glichen, mit Tombola, Christbaumversteigerung und Tanzmusik
natürlich auch ein paar besinnlichere Veranstaltungen, in denen
einige renommierte Gruppen ein paar Hirtenlieder vortrugen, oder
von den Freuden des Winters, dem Ski- und Schlittenfahrten und
dem Eisstockschießen, pax hurra dax, ein Lied erschallen
ließen. Und er musste überall etwas sagen, auch wenn er gar
nicht genau wusste, um welche Art Publikum es sich handelte. Das
war deshalb nicht sehr leicht, denn man musste ja der
Pluralität Genüge tun, dem Sankt- Pluralismus, dem wohl einzige
Heiligen, auf den sich unsere Gesellschaft geeinigt hat, Tribut
zollen. Dabei ist das Entscheidende, dass niemand weh tut, keine
Weltanschauung verletzt, denn auch wenn die Veranstaltung
Weihnachtsabend oder- Nachmittag heißt, kann man es sich
natürlich nicht leisten, etwas Weihnachtliches zu sagen, es
könnten ja genügend dabei sein, die von dieser Sache nicht`s
mehr halten. Aber er wäre kein Politiker gewesen, wenn er nicht
such für solche Reden eine gewisse Routine entwickelt
hätte.
Ein bisserl was über die Winterzeit, ein wenig was vom
Brauchtum und auch ein paar Worte über Soziales, und die
Liebe kann natürlich nicht schaden, da hat man immer
recht, da stößt man nie damit an.
So liefen auch in diesem Jahr wieder seine Veranstaltungen ab.
Heuer machten sie im sogar ein bisschen mehr Freude als im
vorigen Jahr, weil er, wie gesagt, nebenbei immer Ausschau hielt
wie er seine Kripperlmannschaft vervollständigen könnte.
Seiner Frau und den Kindern hat er schon versprochen dass es
heuer eine kleine Überraschung unterm Christbaum geben werde.
Endlich war es soweit. Am Heiligen Abend musste er zwar noch am
Mittag eine kleine Feier in seinem eigenen Amt abhalten, aber
dann begann er am späten Nachmittag den Christbaum aufstellen.
Voller Freude holte er Kripperl und Figuren aus der Kiste, die
er versteckt gehalten hatte. Ganz schön schwer war sie
geworden, und was da alles drinnen war! Es bereitete ihn immer
mehr Freude das alles aufzubauen, was er geschenkt bekommen oder
auch erstanden hatte. Prächtig schaute sie aus, die Schar der
Hirten mit ihren verschiedenen Tieren; ein richtiger Tierpark
war zusammengekommen, wenn man die Gefolge der Heiligen
Drei Könige anschaute. Eigentlich waren es ja nicht nur drei
Könige, sondern eine ganze Reihe von königlichen Gestalten.
Besonders schön war das geschnitzte Heilige Paar anzuschauen,
das er in der Holzschnitzerschule erstanden hatte, wo er an
einem Adventsabend den Leiter ehren musste. Mein Gott, die Zeit,
dachte er, die Kinder wollen doch endlich die Bescherung
anschauen! Schnell legte er noch die übrigen Geschenke für
seine zwei Kinder und seine Frau unter den Christbaum. Das
Prächtigste aber war wohl das bunt zusammengewürfelte Kripperl.
Da würden die Kinder staunen!
Endlich war es soweit. Er zündete die Kerzen an und entfachte
einige Sternwerfer. griff zur Glocke, und schon kam seine Frau
mit den Kindern an der Hand herein. Als erstes stürzten sie
sich auf die prächtige Krippe mit ihrer bunten Menschen- und
Tierschar. Ein Oh und ein Ah und ein Ui kam über ihre
Lippen. Der kleine Peter kniete sich hin und betrachtete jede
Figur ganz genau. Auf einmal schaute er seinen Vater groß an:
"Du Papa", meinte er, "schau einmal da fehlt doch
etwas"! Was sollte den da noch fehlen, wo er sich bei seien
Besorgungen doch so viel Mühe gegeben hatte? Aber er schaute
genauer hin. Jetzt sah er es: Er hatte das vergessen, was Advent
und Weihnachten seinen Sinn verleiht: das Kripperl war leer. Das
Christkind hatte er über den Weinachtstrubel ganz vergessen. |
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